Die kriegerischen Ereignisse im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges im Kirchspiel Lengerich
von Josef Peters, Bersenbrück
Beobachtet man die Geschichte des Kirchspiels Lengerich, so wird man feststellen, daß sich dieser Raum nicht nur dreißig Jahre, sondern mindestens siebzig Jahre lang mehr oder weniger im Kriegszustand befand. Denn durch seine Lage an der Schnittstelle spanischer und niederländischer Interessen war er mit allen Konsequenzen in die Auseinandersetzungen der Generalstaaten mit dem König von Spanien um die Unabhängigkeit verwickelt, so daß für das Kirchspiel Lengerich der Dreißigjährige Krieg darin gewissermaßen nur eine Episode darstellt.
Die folgenden Ausführungen basieren i. w. auf den Aufzeichnungen des gebürtigen Lengerichers Gerhard Anton Goldschmidt in seiner "Geschichte der Grafschaft Lingen" aus dem Jahre 1850.
Lange Zeit befand sich das Kirchspiel Lengerich als Teil der (Nieder) Grafschaft Lingen im Besitz des Grafen von Tecklenburg. Nach dem Sieg des Kaisers im Schmalkaldischen Kriege, in dem Graf Conrad von Tecklenburg an der Seite der Gegner des Kaisers gestanden hatte, wurde Conrad mit der Reichsacht belegt. Das bedeutete für ihn den Verlust seiner Güter, somit auch der Grafschaft Lingen. Mit der Inbesitznahme beauftragte der Kaiser den Grafen von Büren (Geldern). Das geschah mit der Grafschaft Lingen und damit auch dem Kirchspiel Lengerich bereits am 3. November 1546, wie eine handschriftliche Notiz in einem Kalender eines alten Buches neben dem 3. November ausweist: "facta occupatio lingae p. comitem buranum Ao. 1546" Nach einigen vergeblichen Versuchen Conrads, seinen Besitz wieder zurück zu bekommen, wurde am 29. Juli 1548 der Graf von Büren endgültig zum Besitzer der Grafschaft Lingen. Mit Urkunde vom 7. Mai 1550 wurde die Grafschaft an die Tochter Anna des Grafen von Büren, der schon 1548 gestorben war, übertragen. Als jedoch Anna beabsichtigte, eine Ehe mit Wilhelm von Nassau, Prinzen von Oranien, einzugehen, stimmte der Kaiser nur zu unter der Bedingung, daß ihm die Grafschaft Lingen mit allem Zubehör verkauft würde. Der Kaiser nahm das Land auch wirklich "umb ein liederlich Geldt" von 120.000 Karlsgulden in Besitz. Die Regierung übertrug er seiner Schwester Maria, die seit 1531 Oberstatthalterin der Niederlande war, diese wiederum gab das Land dem Grafen Joh. von Arensberg zur Verwaltung. Den Einwohnern der Grafschaft war aber offenbar bewußt, daß der Kaiser eigentlicher Landesherr war. Dies ergibt sich aus der Inschrift einer Glocke in Beesten "Do man schrev 1555 Jahr, heet my dat Kerspel Beesten geten, dat is wahr, Gade to love unde to Eren, Do wy den Kaiser hadden tom Heren".
Mit dem Grafen von Arensberg gab es von Anfang an einige Konflikte, die auch das Kirchspiel Lengerich betrafen. So führte der Herr des Hauses Lengerich, Hacke van Heek, beim Abt von Werden bereits 1551 Klage über Versuche des Grafen, dem Hof von Lengerich die Zuständigkeit für das Hölting (das Holz- und Markengericht) und für die Besetzung der Pfarre zu nehmen. Im übrigen aber wurden durch den Kaiser als Landesherrn die Kirchengüter den Geistlichen zurückgegeben, die sie "von Alters her" innegehabt hatten. Bei der Rückgabe der Kapelle zu Wettrup gab es lange Zeit Schwierigkeiten; sie erfolgte erst 1564.
Kaiser Karl V. übergab im Oktober 1555 in Brüssel seinem Sohn Philipp die Regierung der Niederlande, wozu auch die Grafschaft Lingen gehörte. Im folgenden Jahr übernahm Philipp von seinem Vater auch die Krone Spaniens. Die Übergabe der Grafschaft Lingen an den König Philipp scheint jedoch nicht reibungslos erfolgt zu sein, denn 1558 fiel "Wallerthums Kriegsvolk" ins Kirchspiel Lengerich ein, blieb dort zwei Nächte, schlug die Leute "bunt und blau" und nahm ihnen Kleider und anderes weg.
Als König Philipp II. aus den Niederlanden nach Spanien umzog, übergab er ihre Verwaltung seiner Schwester Margaretha von Österreich, Herzogin von Parma. Als Unterstatthalter ernannte er den Grafen von Arensberg. Ferner errichtete er mehrere neue Bistümer in den Niederlanden. Zu dem neuen Bistum Deventer gehörte seitdem die Grafschaft Lingen als ein Lehen von Geldern und Teil der Provinz Overyssel. Sinn dieser Maßnahmen waren offenbar Versuche, die Reformation zurückzudrängen. Die Bischöfe von Osnabrück haben sich dieser Abtrennung, wenn auch damals erfolglos, widersetzt. Sie führten nämlich weiterhin auch die Kirchspiele in der Grafschaft Lingen in ihren entsprechenden Verzeichnissen.
Schon bald nach der Abreise Philipps nach Spanien kam es zu großen politischen und religiösen Unruhen in den Niederlanden, die bald alle Provinzen erfaßten und für das Reich sowohl wie für die Niederlande und damit auch die Grafschaft Lingen weitreichende Folgen hatten. Die Ursachen für diese Unruhen waren vielfältig. Im Kern aber ging es um zwei politische Vorstellungen, die sich diametral gegenüber standen und von ihrem Ansatz her unversöhnlich waren: Auf der einen Seite der Versuch Madrids, die niederländischen Provinzen in einer straffen, zentralistischen Regierungsform zusammenzufassen, auf der anderen der feudale und regionale Behauptungswille des hohen niederländischen Adels, vertreten durch Egmont, Graf Hoorne und Wilhelm von Oranien. Das konfessionelle Element spielte zunächst nur eine geringe Rolle, es trat erst im Verlauf der Unruhen verstärkt auf. Der 1565 ausbrechende Aufstand der Niederlande gegen die spanische Herrschaft endete zunächst 1579 mit dem Zusammenschluß der nördlichen calvinistischen Provinzen zur Utrechter Union unter Wilhelm von Oranien, die zwei Jahre später 1581 ihre Unabhängigkeit erklärte. Der Krieg mit Spanien zog sich zwar noch Jahrzehnte hin, doch war die Selbständigkeit der Niederlande nie mehr ernstlich gefährdet. Die lutherischen Fürsten Deutschlands hatten nicht zu Gunsten der Holländer eingegriffen, da ihnen die Calvinisten als eben so große Feinde galten wie die Katholiken. Dadurch lösten sich die Holländer, ganz auf sich gestellt, auch innerlich von Deutschland und entwickeln sich zu einer eigenen Nation. Das Deutsche Reich hatte endgültig die Rhein- und Scheldemündung verloren. In dieser Zeit erfolgte auch die sprachliche Trennung Hollands vom Reich. Die niederdeutsche Mundart, in die Luthers Bibel übersetzt worden war, wurde zur holländischen Schriftsprache.
Diese Auseinandersetzung zwischen Spaniern und Holländern hatten auch für die Grafschaft Lingen und das Kirchspiel Lengerich, die ja in diesen Konflikt unmittelbar einbezogen waren, weitreichende Folgen.
Doch zunächst blieb die Region von kriegerischen Ereignissen aus dieser Richtung weitgehend verschont. Für das Jahr 1574 berichtet allerdings Goldschmidt (S.67) von einem Überfall auf das Kirchspiel Lengerich durch braunschweigische, sächsische und schaumburgische Reiter. Er schreibt: "Bei ihrem An- und Abzuge erlaubten sie sich die größten Gewalttätigkeiten und Plündereien. Selbst unter den Augen des Herzogs Manus von Sachsen, welcher beim letzten Abzuge auf dem Haus Lengerich logierte, wurden dem Verwalter daselbst alle Kleider weggenommen. Die vom Richter und Notar Engelhartz zu Lingen dokumentierten Ausgaben der Verzehrungen und des Schadens in der Ober- und Niedergrafschaft beliefen sich auf bald 11.000 Reichstaler."
Karte der Grafschaft Lingen im 17. und 18. Jahrhundert
Im Jahre 1578 wurde Wilhelm von Oranien anläßlich der Geburt seiner Tochter Katharina von den Generalstaaten als Taufgeschenk die Grafschaft Lingen verehrt. König Philipp II. von Spanien stimmte dieser Übergabe als einem "freien Lehen" des Königs zu.
Die nun folgende Phase ist bestimmt durch beständige Kämpfe und mehrfachen Wechsel des Besitzes von Stadt und Grafschaft Lingen. Die Gewalttätigkeiten begannen mit dem Einfall des Sigismund Freiherrn von Kurtzbach zu Drachenberg in Schlesien, der mit 700 Reitern und 1000 Fußknechten im Dienst der Niederländer die Grafschaft besetzte. Goldschmidt (S.69) berichtet, Kurtzbach habe in der ganzen Umgebung den Bauern nicht nur Geld, Korn und Vieh für die Truppe abgepreßt, sondern auch die besten jungen Männer in den Krieg weggeführt. Zudem habe er die Bauern gezwungen, den Brand ihrer Gehöfte durch Geld abzukaufen. Diesem schlimmen Tun folgte aber offenbar bald die Strafe. Denn u. a. in einer lateinischen Nachricht in einem alten Lengericher Missale findet sich: "Im Jahre 1579 brach in dieses Gebiet ein Herr von Kurtzbach aus Schlesien sechs Wochen vor Martini ein und er wurde später genau am Tage der Beschneidung des Herrn von Schießpulver erfaßt auf der Hackenburg (Burg Lengerich) und starb drei Tage später, nachdem er den armen Landsleuten dieses Heimatdorfes viel Übles angetan hatte (wie ein Tyrann)." Erklärungsversuche für diesen Unfall gibt es mehrere. Unvorsichtigkeit oder der Versuch, einen Schrank mit Pulver aufzusprengen wurden als Ursache genannt.
Nachdem 1580 gegen Wilhelm von Oranien als dem Anführer der aufständischen Niederländer die Reichsacht erklärt worden war und er damit all seine Güter verloren hatte, regte sich in der Grafschaft Lingen wieder das Interesse, in den Besitz Spaniens zurückzukehren. Daher ließ Wilhelm im selben Jahre die Stadt Lingen durch z. T. englische Hilfstruppen belagern. Darüber heißt es in einem Lengericher Missale: "Im folgenden Jahr 1580, im Herbst, belagerte der Herzog von HolIac (?) die Festung Lingen. Er wurde allerdings acht Tage später, nachdem er aus den Kirchen 19 Glocken geraubt hatte, zu schändlicher Flucht gezwungen." Der Raub der Glokken läßt sich nachwiesen. Aus der Lengericher Kirche waren jedoch offenbar nicht alle Glocken geraubt worden, denn es existierte zu Goldschmidts Zeit noch eine Glocke von 1461.
Wenn auch die Holländer zunächst vertrieben waren, so trieben es doch die Spanier in der Folgezeit nicht besser. Sie raubten, plünderten und mordeten nach damaliger Kriegsmanier, ohne auf die jeweilige Konfession zu blicken. Die Holländer ihrerseits, die in ähnlicher Weise im münsterschen Emsland wüteten, machten von dort aus mehrfach Einfälle in die Grafschaft Lingen. Der für das Kirchspiel Lengerich schlimmste Überfall geschah 1587 durch eine holländische Truppe unter Führung eines ehemals katholischen Kaplans, jetzigen Prädicanten mit Namen Bernhard Scherhagen. Er ließ das Dorf plündern, viele Gefangene machen und schließlich das ganze Dorf in Brand setzen. Auch hierüber findet sich eine Notiz im Lengericher Missale: "Anno 1587 Geusy (Holländer) eruptionem hostilem ex Meppen in Lengerke fecerunt, qua spoliate et multis captivis abductis, mox totam incenderunt, ex quo incendio maior pars villae vel tota ferme conflagrata est."
Die folgenden Jahre waren durch unaufhörliche Plünderungen Raubzüge und Morde sowohl durch spanische als auch durch holländische Banden geprägt. Kein Ort, keine Bauerschaft blieb verschont. Dabei war völlig gleichgültig, welcher Seite die Truppe angehörte. Die Leute auf dem Lande waren für jede Freiwild. Betroffen war dabei nicht nur die Grafschaft Lingen, sondern fast noch stärker das angrenzende Gebiet der Bischöfe von Münster und Osnabrück.
Mit welcher Brutalität diese Soldateska überall zu Werke ging, zeigt folgende Schilderung: "Und wellen der arme Bauersmann Uff dem Lande durch dieß unChristlich und unabhorlich plundern, fangen, spännen, Pfeinigen und thodtschlagen dergestalt erschrockenn, daß auch zwanzig für einen gewehrten entlauffen sollten." Ferner:
"Was nun hie zwischen die gantze Zeit uber den armen Leutenn uff dem Land tag vor Tag an dreien, vier fünff, acht oder Zehenn Pferdenn, Kuhebeistern und anderen Viehe abgenommen, die gemeine Wanderßmann uff den straßen niedergeworfen und beraubet, der eine hie, der andere da erschoßen, thodtgeschlagen, unnd uff das eußerste geschatzett und rantzioniert worden, nit anders, alß wann diese orter uff der Unchristen unnd Türckischen greintze belegen worden (daß kein abgesagter Fiandt unchristlicher und Tirannischer mit leutenn hetten umbgehen können). Solchs alles ist nitt zusagen, geschweige zuschreiben. (Summarische antzeigh, was von den Hispanischen Kriegs - Volcke Inn wenig Jahren dem Stifft Oßnabrugk schadens zugefuegtt)"
Nachdem Wilhelm von Oranien am 10. Juli 1584 in Delft von dem Burgunder Balthasar Gerard erschossen worden war, folgte ihm sein Sohn Moritz von Nassau, Prinz von Oranien, nach. Er erneuerte seine Ansprüche auf die Grafschaft Lingen und stützte sie auf die seinerzeitige Schenkung der Grafschaft an seinen Vater 1578 und rückte, da seine Ansprüche von Spanien zurückgewiesen wurden, am 28. Oktober mit seinen Truppen gegen Lingen und belagerte die von 6 - 800 Mann spanischer Infanterie verteidigte Stadt. Am 12. November, als sich die Stadt der Übermacht nicht mehr erwehren konnte, kam es zu Übergabeverhandlungen, in deren Folge am 14. November die spanische Besatzung unter dem Grafen von Berg abzog, nachdem bereits am Tage zuvor Moritz in die Stadt eingezogen war. Er legte seinerseits eine Besatzung unter dem Capitain Martin Cobbe in die Stadt und zog sich selbst nach Holland zurück. Für die Menschen der näheren und weiteren Umgebung änderte sich wenig. Die Streifzüge, Plünderungen, Brandschatzungen und Morde gingen unaufhörlich weiter. Zu leiden hatten wieder besonders auch die münsterschen und osnabrückschen Länder.
Für die Grafschaft und damit auch für Lengerich ergaben sich allerdings Veränderungen für die Katholiken. Denn nunmehr wurden die von den Spaniern restituierten katholischen Kirchen wieder reformiert, wobei die katholischen Geistlichen mit wenigen Ausnahmen des Landes verwiesen und für sie protestantische Prediger eingesetzt wurden. Eine Ausnahme war der Vikar zu Lengerich, wohl weil die Vikarie eine Privatstiftung der Völkeringschen Familie war.
1605 wendete sich für die Grafschaft Lingen das Blatt erneut. Unter der Regierung des Erzherzogs Albrecht von Österreich als Statthalter der Niederlande kam es zu größeren Erfolgen der Spanier über die Holländer durch den Feldherrn Marquis de Spinola. Er erschien am 11. August 1605 mit 5000 Reitern und 900 Mann Infanterie (Spanier, Wallonen, Burgunder und Deutsche) vor Lingen. Der Kommandant Martin Cobbe versuchte sich zwar energisch gegen den Angreifer zu wehren, ließ sich schließlich jedoch durch die Einwohner der Stadt und die offenbar kurz bevorstehende Erstürmung zur Übergabe bewegen. Diese erfolgte am 18. August. Spinola ließ die Festungswerke völlig ausbauen und verstärken, weil er einen neuen Angriff durch Moritz befürchtete. Erneut wurden die umliegenden Orte durch "auslaufende" Soldaten ausgeplündert und gebrandschatzt. Die durch die Oranier ausgewiesenen katholischen Geistlichen wurden wieder zurück geholt, u. a. auch der Pastor Wessel Brumleven in Lengerich. Auch die Kirchen wurden zurückgegeben und der Gottesdienst wieder nach katholischem Ritus gefeiert. Darüber bemerkte der damals reformierte Vogt Zegebode anfangs des Jahres 1606: "de Wile dan de Koster tho Lengerke vor 8 Jahren in den Pawestdom (Papsttum) gewesen, und na sin princi. Exci. reduction an unse gereformerde religie gegeven, nu averst wedder afgevallen, also dat he besher, we alnoch, der papisten afgodesche Ceremonien, so iut klingen up de Straten und mer andere in ere kerken gebruikende gedan."
Zu dieser Zeit wütete in vielen Gegenden besonders Westfalens die Pest. Nachdem sie 1597-99 an die 4000 Menschen in Osnabrück hingerafft hatte, brach sie 1605 erneut in Münster aus, im Dezember des Jahres kamen auch schon viele Fälle in Freren, im Juli 1606 in Ibbenbüren, Recke, Plantlünne und Thuine vor. 1607 herrschte sie in Lengerich, wo nach einer im dortigen alten Missale enthaltenen Nachricht fast täglich drei bis sieben Menschen, im ganzen ungefähr 300 daran starben, und an einem Tage sogar zehn Menschen beerdigt wurden.
Die Stadt Lingen wurde 1608 zusätzlich zu dieser Plage noch von einem weiteren Unglück betroffen, die Explosion des Pulverturms. Auch dazu existiert eine Notiz in dem Lengericher Missale. Sie heißt übersetzt: "Im Jahre 1608 am Tage nach Jakobus und Phillipus in der Nacht oder frühmorgens gegen ein Uhr begann die Lingener Burg zu brennen bis vier Uhr. Das Feuer ergriff das Schießpulver, durch dessen Explosion die Fundamente des Turms erschüttert und auseinandergesprengt wurden. Augenblicklich kamen sowohl angesehene Bürger als auch einige hundert Soldaten ums Leben. Sogar außerhalb der Befestigungen und des Grabens der Stadt wurden verstümmelte Männer gefunden, einige auch tot."
Als im Jahre 1608 Friedensverhandlungen zwischen den Spaniern und Holländern nicht zum Ziele geführt hatten, kam es am 9. April 1609 wenigstens zu einem Waffenstillstand, der in der Festung Antwerpen auf 12 Jahre abgeschlossen wurde. Er wurde überall mit Festlichkeiten, Glockengeläut und Freudenfeiern begrüßt. So sagt es eine Notiz in dem bereits mehrfach genannten alten Missale der Lengericher Kirche. Während dieses Waffenstillstands wurde denn auch die Grafschaft Lingen von weiteren Einfällen der Holländer weitgehend verschont und man nutzte die Zeit zur Regulierung der kirchlichen Verhältnisse im Sinne der Katholiken. So wurden die alten Kirchengüter restituiert, Pfarrer eingesetzt, die Ausstattungen der Kirchen verbessert - so erhielt z. B. die Kirche zu Lengerich in dieser Zeit eine Orgel - und schließlich auch Regelungen erlassen, die Leben und Arbeit der Priester betrafen.
Während so unserer Grafschaft und unserem Kirchspiel diese Zeit des Waffenstillstandes eine Atempause verschaffte, wurde die Nachbarschaft, besonders das Osnabrücker Land durch Spanier und Holländer immer wieder in Raubzügen ausgeplündert.
1618 während dieses Waffenstillstandes brach in Böhmen der Krieg aus, der nun dreißig Jahre lang ganz Deutschland in eine Wüste verwandeln sollte. Konfessionelle Gegensätze, Bestrebungen der Reichsfürsten nach Selbständigkeit und Interessen ausländischer Mächte kamen auf deutschen Boden zum Austrag.
Auch die Grafschaft Lingen wurde von Kriegshandlungen betroffen, allerdings nicht in dem Ausmaße wie etwa die mitteldeutschen und süddeutschen Länder. So zog im Jahre 1622 Graf Mannsfeld als General im Dienst der verbündeten Protestanten von der Twente durch die Grafschaft in Richtung Meppen und zerstörte auf diesem Zug alles, was ihm in den Weg kam. Aber auch die Kaiserlichen standen diesen Truppen in nichts nach. Dazu kam, daß nach dem Ablauf des Waffenstillstands 1621 die Feindseligkeiten zwischen Spaniern und Holländern wieder ausgebrochen waren. Nunmehr aber lagen die Vorteile auf Seiten der Holländer. Für die Festung und die Grafschaft Lingen ergaben sich insofern bedeutende Veränderungen, als der König von Spanien auf Antrag des Kaisers und der westfälischen Stände beschloß, seine Truppen aus diesem Gebiet zurückzuziehen. Er hatte für diese Entscheidung nachvollziehbare Gründe: Dieses Gebiet lag für eine dauerhafte Verteidigung und Sicherung viel zu weit entfernt und war dazu wenig einträglich, es konnte nicht einmal die Garnison selbst unterhalten. Die Stadt wurde daher am 8. Juli 1630 von der spanischen Besatzung verlassen und den Truppen der katholischen Liga übergeben. Zwei Jahre dauerte die Besetzung Lingens durch diese Truppen. In dieser Zeit liefen die Verhandlungen verschiedener Interessenten mit der Infantin von Spanien, Isabella Clara Eugenia, um eine Neutralisation Lingens mit Schleifung der Festungsanlagen. Im September 1632 führten diese Verhandlungen zum Erfolg, es wurde mit dem Abbruch der Festungsanlagen begonnen, Für diese Arbeiten wird auch das Kirchspiel Lengerich zahlreiche Arbeitskräfte gestellt haben. Die Abbrucharbeiten wurden zwar kurzzeitig unterbrochen, als nämlich Friedrich Heinrich Prinz von Oranien, am 5. Januar 1632 die Stadt einnahm. Sie scheinen dann aber doch 1638 zu Ende geführt worden zu sein. Während dieser Jahre wurde die Umgebung Lingens von den verschiedensten Truppen heimgesucht: 1632, als die Kaiserlichen unter Tilly Lingen besetzt hielten, streiften holländische Verbände in der Gegend umher. 1633 zogen Schweden, Lüneburger und Hessen in unsere Gegend, nahmen Fürstenau ein und kamen bis Lingen. Im Mai plünderten kaiserliche Truppen fast alle Dörfer und Kirchen der Grafschaft Tecklenburg. Im August nahmen die Schweden die Stadt Rheine und die Burg und den Flecken Bevergern. Am 22. Januar 1635 nahmen die Kaiserlichen wieder Rheine ein und plünderten es völlig aus, im Februar 1635 nahmen sie auch Haselünne auf dieselbe Weise. Am 4. März 1636 nahmen die Kaiserlichen den Schweden Fürstenau wieder ab und machten auch Raubzüge in die Grafschaft Lingen und das Kirchspiel Lengerich. Dagegen machten von Osnabrück aus die Schweden Raubzüge in die Umgebung. Im ganzen gilt von der Grafschaft Lingen wohl dasselbe, was Visch in der "Geschiedenis van het Graafschap Bentheim" S. 175 ff. sagt; daß diese abwechselnd von Kaiserlichen, schwedischen, lüneburgischen und hessischen Truppen besetzt war, daß während der Kriegsjahre der Gottesdienst verfiel, die Kirchen in desolatem Zustande, die Predigerhäuser beinahe unbewohnbar waren, die Gehälter ausblieben und die Prediger ihren Posten verließen.
Die Inbesitznahme der Grafschaft Lingen durch Friedrich Heinrich von Oranien hatte für die dortigen Katholiken zur Folge, daß sie mit einer erneuten Behinderung in der Ausübung ihres Glaubens zu rechnen hatten. Die Maßnahmen Oraniens liefen allerdings behutsam an. Zunächst wurde nur in Lingen ein reformierter Prediger eingesetzt. Auf dem Lande blieben die Katholiken noch mehrere Jahre in ihrer Konfession unbehindert. Wenn aber ein katholischer Pfarrer starb, wurde ein Prediger an die Stelle gesetzt oder sie blieb zunächst vakant. Zugleich suchten die Prediger der Grafschaft durch eingaben an den Prinzen von Oranien, die Reformation voranzutreiben, während die Katholiken für ihre Anliegen Unterstützung bei den Friedensverhandlungen in Münster (1645) zu finden suchten. Es ist verständlich, wenn sich diese konfessionellen Konflikte auch im Zusammenleben der Menschen in den Dörfern der Grafschaft Lingen auswirkte.
Am 13. März 1647 starb Friedrich Heinrich von Oranien. Ihm folgte im Alter von 21 Jahren sein Sohn Wilhelm II.. Unter seiner Regierung wurde die Reformation in der Grafschaft mit Engagement und systematisch vorangetrieben. Am 15. August wurden auch in Lengerich die Katholiken gezwungen, ihre Kirche zu verlassen. "Anno 1648 den 15. August hebben wie unse Kerken moten verlaten". (Notiz über Lengerich in einer alten Bibel) Ähnliche Notizen finden sich zu diesem Datum in den Kirchenbüchern anderer Gemeinden. In Lengerich wurde es allerdings der Frau von Reede gestattet, Altäre und anderes Mobiliar der Kirche in Besitz zu nehmen. Mehrfache mündliche und schriftliche Eingaben der Repräsentanten der Grafschaft an den Prinzen von Oranien brachten zwar beruhigende Antworten, aber die Aktionen vor Ort gingen verstärkt weiter. Auch die verschiedenen Proteste bei den Friedensverhandlungen in Münster blieben ohne Erfolg.
Als am 5. August 1648 zu Osnabrück der westfälische Friedensschluß formuliert und am 24. Oktober unterzeichnet wurde, machten sich auch die Katholiken Hoffnung, daß auch ihre Belange positiv geregelt worden wären. Denn in den §§ 3, 9 und 12 des Artikels V. war geregelt, daß im Punkte der Kirchengüter und Religionsfreiheit alles so bleiben solle bzw. so wiederhergestellt werden solle, wie es im Jahre 1624, dem Normaljahr, gewesen sei. Da in der Grafschaft Lingen in diesem Jahr alle Kirchen unstreitig im Besitz der Katholiken waren und sie ungehindert ihre Religion ausüben konnten, glaubten sie an eine Verbesserung ihrer Lage. Doch gerade diese Bestimmungen kamen für die Grafschaft Lingen nicht in Betracht, wohl aus dem Grunde, daß die Grafschaft Lingen nicht mehr als Teil des westfälischen Kreises, sondern als ehemaliges Geldrisches Lehen als "souveraine" Landschaft des Hauses Oranien betrachtet wurde.
Mit dem Friedensschluß von 1648 waren zwar Krieg und Gewalttätigkeit zunächst beendet und ganz Deutschland atmete auf. Die konfessionellen Gegensätze aber wirkten noch Jahrhunderte fort. Dies gilt auch für das Kirchspiel Lengerich, wo der konfessionelle Friede wohl erst mit dem Bau der neuen katholischen Kirche eintrat.
Quelle:
Lengericher Geschichte(n), Nr. 4, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1998, S. 22-29
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