Ne Burenhochtied 1883
War auf dem Hofe der Erbe im heiratsfähigem Alter und die Geschwister bereits aus dem Haus (datt Hus loss), so konnte er auf Brautschau gehen. Eine standesgemäße Braut zu finden, erwies sich oft als äußerst schwierig. Liebe und Schönheit waren nicht unbedingt wichtig - "Von so etwas kann man nicht leben" - hieß es. Hauptsache die Mitgift stimmte.
Die Eltern hielten zunächst Umschau, ob in der näheren Umgebung eine passende Braut zu finden war. War dieses nicht der Fall, so wurde der "Hilkemaker" (Heiratsvermittler) zu Rate gezogen. Dieser war oft ein Viehhändler oder Kleinwarenhändler. Diese Leute gingen durchs Land, kannten sich in angrenzenden Kirchspielen aus und gingen von Haus zu Haus. Sie scheuten keine Mühe, eine passende Braut für den Hoferben zu finden ("Guden Hilke" - De Maker löpp seeben mool upp un aff). Eine alte Volksweisheit. Die Absicht des Heiratsvermittlers wurde schnell durchschaut und die Eltern sahen ihrerseits die Möglichkeit, die Tochter "an den Mann zu bringen". Schließlich sollte sie nicht als "Tante" auf dem Hof bleiben. Die Tochter will auch gerne "Die Holsken unnern aigenen Disk stecken" - Nach erfolgreicher Vermittlung bekam der "Hilkemaker" zur Belohnung einen neuen Hut und ein angemessenes Trinkgeld.
Um die ersten Kontakte zu knöpfen, versuchte der Hoferbe, unter irgendeinem Vorwand, vorstellig zu werden. "Mit der Tür ins Haus fallen", durfte und wollte er keineswegs. Also bat er "um Feuer für seine Pfeife", oder "den Weg erfragen", oder "ein Pferd kaufen". Sein Anliegen war eindeutig, (Man hatte es früher genauso gemacht) und dem jungen Freier wurde ein Platz am Herd angeboten. Es wurde zum Abendessen eingeladen. Es gab Pfannkuchen. Wurde der Pfannkuchen mit einer geraden Zahl Speckscheiben serviert, so durfte er bleiben, und die Tochter wurde geholt. Sei einer ungeraden Zahl Speckscheiben, war es ein unmißverständliches Zeichen, daß sein Anliegen keinen Erfolg hatte.
Nach dem Abendessen wurden Haus, Hof und Vieh in Augenschein genommen. Beim Ausblick auf die Ländereien hieß es "Aale use!". Es wurde zum Gegenbesuch eingeladen. Waren die Eltern einverstanden und die jungen Leute sich einig, wurde die "Mitgift" ausgehandelt und beim Mahl der "Verspruch" (Verlobung) gefeiert.
Die anschließende Brautzeit dauerte ca. fünf bis sechs Monate. In dieser Zeit wurde die Aussteuer zusammengestellt. Trockenes Eichenholz für Möbel war immer vorhanden, ebenso das "Linnen" (Leinen), für Kleider und Bettwäsche. Die jungen Leute aus der Nachbarschaft kamen zum "Schatten" (Schätzen des Bräutigams). Wurde der Bräutigam anerkannt, bekam er den Jagdschein (Freibrief) übergeben. Dafür hatte er ein gutes Trinkgeld zu zahlen.
Die Hochzeit fand in der Regel an einem Dienstag oder Mittwoch im Spätherbst oder Winter statt und dauerte mindestens acht Tage. Dann hatten die Bauern Zeit. Auch die "Hollandgänger" waren wieder "im Lande". Später nutzte man die Zeit zwischen "Saien und Maihen" (Sähen und Mähen).
An drei Sonntagen vor der Hochzeit wurde das Brautpaar namentlich im Hochamt während des Gottesdienstes verkündet. - "Van de Kanzel oder Predigtstouhl fallen" - hieß es im Volksmund. Kam jemand, der ältere Rechte gegenüber der Braut geltend machte, blieb die nächste Verkündigung aus, und die Angelegenheit mußte bereinigt werden. Es hieß dann "De sind an de Kanzel hangen bleewen."
War die Aussteuer fertig, alles schön eingebunden mit Bändern und Schleifen verziert, lud die Braut ihre Nachbarsfrauen, Verwandte und Bekannte zur "Klendebesicht" ein. Alles war auf Tische gestapelt. Von den Frauen wurde alles genau unter die Lupe genommen und begutachtet; vor allem genau durchgezählt. Sie selbst brachten noch kleine Geschenke mit "Smiet bi". Somit wurde die Aussteuer noch vergrößert. Auch die Nachbarn des Bräutigams waren inzwischen tätig. Diese hatten sich einige Wochen vorher im Hochzeitshaus getroffen, um zu besprechen, wie sie die Hochzeitsgäste "ernähren" wollten. Die Zahl der Gäste wurde aufgelistet. Pötte, Pannen und Geschirr liehen die Nachbarn gegenseitig aus. Kränzen, "Owerhalen" der Braut und all die anderen Traditionen wurden besprochen. Es gab auch Kaffee, Korinthenstuten und dicke Beschüte. Eine Flasche Schluck durfte nicht fehlen.
Eine ganz besondere Persönlichkeit war der "Hochtiedsnöger". Bevor er die "Noaberskup" und "Verwandtskup" mit einem humorvollen Gedicht einlud, hatte er bei der Braut zu erscheinen. Fahrrad und Hut wurden kunstvoll geschmückt. Sie knotete das erste bunte Taschentuch an seinen Stock. Eine Flasche Schluck und ein gutes Trinkgeld gab sie mit auf den Weg. Er wurde mit guten Wünschen losgeschickt und konnte mit den Einladungen beginnen. Waren weite Wege zu machen, dauerte die Zeit der Einladungen bis zu vierzehn Tagen. Es waren recht anstrengende Wochen. Der Stock, an den jede eingeladene Familie ein Taschentuch band, die Beine und vor allem die Zunge wurden immer schwerer. Ein gutes Trinkgeld hatte er sich verdient. Dieser "Hochtiedsnöger" war entweder ein jüngerer Bruder des Bräutigams, Großknecht oder der Nachbar.
Bevor es zur kirchlichen Trauung zwischen den Brautleuten kam, hatten diese beim Pastor Religionsunterweisung. Im Volksmund hieß es "Brutexamen".
Am Sonntag vor der Hochzeit war das Schinkenbringen angesagt. Es wurde auch "de Vörhochtied" genannt. Junge Leute aus der Verwandt- und Noaberskup trugen den Schinken in einem rot oder blaurütken (kariert) Schinkenbül (Beutel) in einem Stock tief gebeugt ins Haus. Hier gab es satt zu Essen und Trinken. Schinken mit Zähne soll´s auch gegeben haben (ein halber Schweinskopf). Die Nachbarn hatten außerdem noch ein Suppenhuhn und Butter mitzubringen.
Der "Klendewagen" der Braut kam kurz vor der Hochzeit. Dieser war mit Koffern, Truhen, Schränken, Tischen, Stühlen, Spinnrad, Melkstuhl usw. beladen. Vor allem durfte der Reisigbesen nicht fehlen. Dieser war mit bunten Bändern und Papierrosen geschmückt. Der Fahrer des Klendewagens hatte eine Pferdepeitsche. War die Braut oder der Bräutigam reich, wurde symbolisch ein Geldbeutel an dieser Peitsche angebracht. Je tiefer die Peitsche sich neigte, desto mehr Geld wurde in die Ehe gebracht. Auf dem Hof angekommen, überreichte man der Schwiegermutter den bunten Besen. Dieser Vorgang hatte eine wichtige Bedeutung. Falls mal Zwistigkeiten und Streit zwischen der alten und jungen Bäuerin entstanden, sollte alles mit dem bunten Besen ausgekehrt werden und nicht mit einem "eisernen" Besen. Für die Hochzeitstage nahm der erste Nachbar den Besen in Besitz. Dieser hatte ja für Ordnung zu sorgen, daß alles einen guten Verlauf nahm. In einigen Orten wurde der Besen am Giebel befestigt, in anderen Orten der Meekel (Baum) in der großen Dielentür weiß gestrichen. Es war ein Zeichen, daß durch die Hochzeit ein Generationswechsel (Regierungswechsel) stattgefunden hat.
"Dätt Owerhalen" der Braut besorgten die Nachbarn des Bräutigams. In einer geschmückten Kutsche wurde dieser zur Braut gefahren und dort von den Nachbarn mit Böllerschüssen und Allotria empfangen. Hier wollte man nicht so ohne weiteres eine aus ihrem Kreis hergeben. Stricke wurden über den Weg gespannt, um die Kutsche anzuhalten. Es wurde gesungen und natürlich auch getrunken. Beim nächsten Hindernis hieß es "Wir stehen hier schon lange auf Posten, das wird gleich einen Taler kosten. Lege ab deine Schuld mit Geduld, und wir lassen euch fahren mit einem Prost." Es wurde immer wieder ausgeschenkt. Schließlich war der Schnaps ja umsonst. Kam die Braut aus einem anderen Ort, dann sang man beim "Grenzübergang" "Wie haolt di ut dat weihen Land un brängt di in dat Klöawerland, o holladididalla, o holladididalla!"
Am Vorabend der kirchlichen Eheschließung fand die standesamtliche Trauung statt. Je nach Bekanntheitsgrad des Brautpaares wurden bei der Fahrt zum Standesamt Stricke über den Weg gespannt, um das Gefährt mit den Brautleuten anzuhalten und "einen aus der Flasche" zu bekommen. Dafür hatte man auch gut vorgesorgt. Korbflaschen mit Brandewein (Schnaps) waren von den Brauteltern gespendet worden. Die Nachbarn den Bräutigams waren die ganzen Tage vor der Hochzeit mit den Vorbereitungen beschäftigt. Schinken wurden in einem großen Kessel gekocht und lagen in Reih und Glied, dick mit Zwiebeln belegt, zum Auskühlen bereit. Der Bogen war aufgehängt, alles war festlich geschmückt.
(Ähnlich wie dieser geschmückte Pferdewagen wird auch der "Klendewagen" mit der Mitgift der Braut offen durch die Gemeinde gefahren sein.)
Es herrschten auch strenge Sitten. Das Brautpaar durfte vor der Hochzeit nicht unter einem Dach schlafen. Somit hatte die Braut oder der Bräutigam im Nachbarhaus zu nächtigen. "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht sorgen." Hatten die Braut oder der Bräutigam vor der Hochzeit ein Verhältnis mit einem anderen Partner, das natürlich nun beendet war, wurde in den frühen Morgenstunden von den jungen Leuten des Dorfes ein "Häcksel- oder Kaffpättken" von Haus zu Haus gestreut. Mitunter konnte dieser Weg etliche Kilometer weit und lange sichtbar sein, zum Ärger des abgeblitzten Freundes. Auch kam es vor, daß bei ihm eine große Strohpuppe im Baum angebracht wurde.
Hochzeitstag
Die Nachbarn kündigten schon früh am Morgen durch Böllern (Kabied oder Flinten) den Hochzeitstag an. Dieses war weit über die Dorfgrenzen hörbar. Mit geschmückter Kutsche fuhr das Brautpaar, von Brautführer und Führerin (Kegengänger) begleitet, zur Kirche. Die Trauung fand um 9 Uhr statt. Verwandte und Bekannte hatten sich dort eingefunden. Anschließend begaben sich die Gäste ins Hochzeitshaus. Die Nachbarn, die an diesem Tag "Herr im Hause" waren, hatten den Tisch reichlich mit selbstgebackenem Stuten und Schinken gedeckt. Es wurde gegessen nach Schema: "Heute schmeckt der Schinken auch ohne Brot!" Erst kurz vor Mittag durfte das Brautpaar erscheinen. Dieses hatte in einer Gaststätte in Kirchennähe gefrühstückt. Die Gäste waren schon in Hochzeitsstimmung. Mit Musik voran wurde das Brautpaar abgeholt. Die Nachbarn stillten inzwischen die durstigen Kehlen der Gäste. Das Brautpaar wurde mit einem sinnlichen Spruch und einem Glas Rotwein in der Deelentür empfangen. Die Schwiegermutter führte die Braut ins Haus bis zum Herd. Dort wurde ihr der Schleef (Kochlöffel) überreicht. Symbolisch gab sie damit die Herrschaft über den Kochtopf ab. Es geschah nicht immer leichten Herzens.
Das Essen fand auf der großen Diele statt. Zum Festmahl gab es Hühnersuppe, gekochten Schinken, Bohnen, Rosinen, Backpflaumen und dicken Reis mit Sandzucker (Farinzucker). Während des Essens zogen die Helferinnen mit Musik (Schlagen mit Topfdeckeln und Suppenkellen) singend um die Tische: "Doun Daler drup, doun Daler drup, süß däl wie dat Sollt (Salz) mit ne Kelle ut." Das bedeutete, daß man von den Gästen ein Trinkgeld erwartete. Die sich weigerten und keinen Taler gaben, bekamen Salz auf ihren Teller. Die Brautbutter und der große Brautstuten standen auf dem Brauttisch und wurde von allen bewundert. War eine Köchin anwesend, (dieses gab es in früheren Zeiten nicht) so bekam sie als Lohn die Brautbutter, die mit Geldstücken bespickt war. Die Musiker, 4 Personen, fanden ihren Platz auf der Hiele oder Häckselkiste. Es wurde viel gesungen, z. B.: "Wie krie wi dat noch up", "Bier her oder ik fall üm", oder "De Hochtied is noch lange nich ut, wi goaht vör Soaterdag nich hus".
Der zweite Hochzeitstag (Hahnenholen), war der Tag für die Nachbarn. Früh am Morgen wurde von den jungen Leuten (die meisten hatten kein Bett gesehen) im Festhaus oder beim Nachbarn der Hahn gefangen. Heute fährt die ganze Hochzeitsgesellschaft zum Elternhaus der Braut, um dort den Hahn zu holen. Dieser Hahn hatte leider viele Strapazen auszuhalten, bis er geschlachtet wurde. Dann wurde dieser am offenen Feuer gebraten.
Heute ist das "Hahnenholen" nur noch symbolisch, um einen Tag länger Hochzeit zu feiern.
Quelle:
Lengericher Geschichte(n), Nr. 5, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1999, S. 33-36
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