Die ehemalige Kirchenburg
zu Lengerich

Die Anlage des alten Kirchhofes zu Lengerich, der auf drei Seiten von eng aneinandergeschlossenen kleinen Häusern umgeben ist (war), hat der Forschung längst ein Rätsel aufgegeben, was er einst zu bedeuten gehabt habe. Bisher war nur bekannt, daß die ersten Siedlungen im Dorf um die Kirche gewesen seien, deren Bewohner die Kirchhöfer hießen. Sie besaßen, außer der Wohnstätte, die meist gepachtet war, kein eigenes Land, sondern höchstens ein zugehöriges Gartenstück. Auch der Unterteil des aus behauenen Findlingen erbauten Turmes der Kirche deutet auf die einstige Verwendung als Wehrturm hin. Die Tür war durch Vorschieben eines dicken Eichbalkens innen in die Mauer zu verbarrikadieren. Das Licht erhält der Turm nur durch zwei kleine schräge Öffnungen im ersten Geschoß. Der eine Lichtschacht ist gerade über der Turmtür angebracht. An der nichtbebauten Nordseite des Kirchhofes sind unter der jetzigen Mauer noch Reste eines Fundaments aus Findlingen sichtbar, ebenso bei zwei sehr alten kleinen Häusern an der Südwestecke (vor Jahren abgerissen). Zwei Pforten befinden sich in der Mitte der Nordseite und der Südseite. Hieraus konnte geschlossen werden, daß der Platz um die Kirche von früh an fest umfriedigt war.

Nun hat die Arbeit über Kirchhofsburgen im Osnabrücker Land von Fr. von Klocke in den Mitteilungen des historischen Vereins vom Jahre 1939 das Bestehen von Kirchhofsburgen im 12. bis 15. Jahrhundert für den benachbarten Kreis Bersenbrück nachgewiesen und zwar für Ankum, Menslage und Badbergen. Bei allen diesen Kirchen handelt es sich um größere Kirchspiele, für die die Errichtung eines festen Platzes in der Zeit des Fehde- und Faustrechts nötig und möglich war. Der Kirchhof wurde dazu ausersehen, weil das Heiligtum Fliehenden Schutz gewährte. Die alten Anlagen sind im Laufe der Jahrhunderte zerstört und so verändert, daß selten durch äußere Merkmale noch das Vorhandensein einer Kirchenburg im 12. bis 15. Jahrhundert allein nachzuweisen ist, wie das von Herrn Klocke bei Ankum möglich war. Urkunden und alte Überlieferungen müssen hinzugezogen werden. In Süddeutschland haben sich noch einige Kirchenburgen erhalten, die verschiedene Anlagen aufweisen. Als wichtiges Merkmal für die Feststellung einer Kirchenburg gibt von Klocke das Vorhandensein von Speichern auf den Kirchhöfen an, wenn diese eine klare und eindeutige Fluchtlinie am Kirchhof bilden, und nur als Haus- und Hofstellen ohne Ackerland, höchstens mit etwas Gartenzubehör nachzuweisen sind. Diese an die Befestigungsmauer angebauten Speicher gehörten den Bauern des Kirchspiels und dienten ihnen sonntäglich als Absteigequartier und in Kriegszeiten zur Bergung der Personen und ihrer Habe. Später sind Wohnstätten daraus geworden. In den Urkunden des Hauses Lengerich sind solche "Speicher dahier auf dem Kirchhofe" mehrfach genannt: 1548 Arend von Dortmunde, der einen herrschaftlichen Speicher kauft, 1625 Joh. Brümleve, der seinen an der Kirchshofsmauer zwischen Sazellani Speicher und Handruper Pforte (Red.: in einer anderen Abschrift wurde es handschriftlich in Hestruper Pforte geändert) gelegenen Speicher an Junker Torck verkauft, 1697 hat Jan Hendrik Grewe "het Spieker op den Kerkhoff, darhie in wohnet un tot het adelige Huis Lengerke gehorig is."

Die Landvermessung von 1681 führt Immeken Möke modo Joan Bartels als Speicher auf dem Kirchhof auf. So melden Urkunden, daß die Wohnungen am Kirchplatz ursprünglich Speicher waren, angebaut an die Kirchhofsmauer. Auch die vorhandene Pforte - es ist die noch bestehende Südpforte - findet Erwähnung.

Auch die "handerpers kerkporte" (Handruper Kirchpforte) führt eine Urkunde von 1442 auf. Die Häuserreihe bildet jetzt noch eine geschlossene Linie. In der Beschrivinge der Grafschaft Lingen von 1550 ist bei sehr vielen Dorfbewohnern nur die Hausstätte auf dem Grunde der Abtei Werden ohne Garten aufgeführt. Das werden die Kirchhöfer sein. Es treffen also alle oben bezeichneten Merkmale für eine Kirchenburg auf die Häuser am Kirchplatz zu.

Außer diesen indirekten Beweisen bringt eine im Missale der kath. Pfarre von 1610 enthaltene Notiz einen ausdrücklichen Nachweis, daß damals die Bezeichnung "Kerkenborg" noch gebräuchlich war. Sie lautet in Übersetzung: im Jahre 1579 brach in dieses Gebiet der Herr von Kusbach, ein Schlesier, Freitag vor Martine ein und nachher am Fest der Beschneidung Christi uff Kerkenborg vom Pulver getroffen, starb er nach drei Jagen für viel Böses, was er vorher den Elenden dieses Landes wie ein Tyrann angetan hatte. Goldschmidt Seite 69 Anm. hat Hakenburg gelesen, der Text bietet aber deutlich Kerkenburg.

Auch im Volksmund wurde diese Überlieferung von der Kirchenburg bewahrt. Frl. Schulte hat im vorigen Jahrhundert wohl auf Anregung des Vikar Schütte alte Erinnerungen aufgezeichnet. Da ist zu lesen: "Die ersten Bewohner sollen am Kirchhof gesessen haben, der anfangs auch mit einer Mauer umgeben gewesen ist, woran damaliger Zeit die kleinen Häuser gebaut gewesen, wie es nachher die alten Gründe, Steine und tiefe Mauern beim Nachgraben ausgewiesen haben." Wenn dort später von der Burg Lengerich (das im 14. Jahrhundert befestigte Haus Lengerich) gesagt wird, daß sie auch ehedem Kerkenburg genannt wurde, so ist das eine Verwechslung, die nach Goldschmidts Lesefehler begreiflich ist; bezeugt aber, daß sich eine dunkle Kunde bis ins vorige Jahrhundert von der Kirchenburg erhalten hat.

Wir sind also berechtigt, das Vorhandensein einer Kirchenburg in Lengerich nach dem Jahr 1100 anzunehmen. Das sie in damaliger Zeit wegen der vielen Fehden erforderlich war, geht aus einer Urkunde von 1269 hervor, nach welcher der edle Ritter Bernhard von Ahaus seinen Sadelhof zu Lengerich wegen vieler Schäden, die er durch Plünderungen und Brandstiftung erlitten hat, an Kloster Werden vertauscht. Mit der Befestigung des Salhofes wurde erst im folgenden Jahrhundert begonnen, denn die Kirchenburg konnte ihn nicht schützen, obwohl er nahe daran lag. Dem Dienstmannsgeschlecht auf dem Salhof wird die Leitung der Verteidigung der Kirchenburg obgelegen haben, da es für seinen Grundherrn Kriegsdienste zu leisten hatte. Vor 1250 werden das die Lengerkes gewesen sein (dafür gibt es keine Belege), nachher die von Hakes, denn Kirche und Kirchhof gehörten zum Gut. Zugleich mit der Kirchenburg muß auch wenigstens der Kirchturm erbaut sein als ein fester Turm, möglicherweise die ganze erste Steinkirche in einfacher romanischer Bauart, so daß sie Zufluchtstätte für die Glieder des Kirchspiels sein konnte.

Das ganze Kirchspiel wird sich an dem Bau der Kirchenburg beteiligt haben. Das adelige Haus hatte auch seine Speicher auf dem Kirchhof, neben ihnen die Bauern aus den zum Kirchspiel gehörenden Dörfern, sowie die Geistlichkeit. Dieser wurde Kapellanspeicher genannt. Die Speicher mögen anfangs den Lehmspeichern auf den Höfen geglichen haben, die meist einstöckig mit Findlingen gekleidet waren und im Bodenraum den Kornspeicher hatten. Sie standen an den Kirchhofsmauern, die in Ankum 8 Fuß hoch waren; die jetzigen Häuser sind später auf dem Grund der Mauer errichtet, nachdem sie niedergelegt war. Nach einer Katasterhandzeichnung des vorigen Jahrhunderts befanden sich 25 Hausstätten am Rande des Kirchhofs. Die Besitzer waren das Gut, die Gemeinde und 20 eingesessene. Dazu kam die Schule. Der Kirchhof bildete ein Rechteck von ca. 100 m Länge und 70 m Breite. Der Verlauf der alten Mauer der Kirchenburg liegt im Süden und im Norden fest. Dort zog sie sich an der Häuserfront hin, hier sind die alten Fundamente noch sichtbar. In diesen Mauern befanden sich zwei Pforten; die Hestruper Pforte mag die südliche Häuserlücke (7,5m) in der Front voll ausgefüllt haben und besonders befestigt gewesen sein. Die Handruper Pforte war kleiner, nach den Ansätzen des alten Fundamentes 3,2m breit. An der Ostseite wird die Kirchenburgmauer vor der dortigen Häuserfront verlaufen sein, so daß diese Stätten sich außerhalb der Mauer befanden, wie das ein erhaltener Mauerteil anzeigt. Die rechteckige Form der Kirchenburg läßt auf einen geraden Abschluß im Westen vor dem Kirchturm schließen, so daß sich der Marktplatz außerhalb der Befestigung befand. Dafür spricht nämlich, daß das alte Fundament aus Findlingen an der Ecke des Rickenschen Hauses nach Norden verläuft, und daß solche Findlinge unter den Häusern der jetzigen Westseite nicht entdeckt worden sind. Vor dem Turm stand sicher das festeste Tor.

Die Kirchenburg bildete einst ein Viereck, in dessen westlicher Hälfte die Kirche stand, mit einer hohen Findlingsmauer, an der die Speicher lagen, sie überragend. In diese Burg führten drei Tore, ein Haupttor vor der Kirche und zwei Nebenpforten. Ihre Zeit war längst vorbei, als die jetzige Kirche erbaut wurde. Der Bau soll 1475 begonnen sein. Seitdem das Haus Lengerich als feste Burg mit Wall, Wassergraben und Mauern unter den Hakes hergerichtet war, bot diese der Bevölkerung in Kriegszeiten Schutz. Nachrichten darüber liegen aus dem 30jährigen Kriege vor. Die Kirchenburg verfiel allmählich. Von ihrem Steinwerk mag viel erst zum Bau der neuen Burg, dann zum Neubau der Kirche und der letzte Rest zum Umbau der Speicher in Wohnstätten verwendet sein, so daß vom einstigen Bestand sich nur wenig erhalten hat. Die ganze Anlage aber weist auf die Vergangenheit zurück.

Nach dieser Feststellung darf angenommen werden, daß sich noch weitere Kirchenburgen im Kreise Lingen ebenso wie im benachbarten Kreise im frühen Mittelalter vorgefunden haben. Der Kirchplatz zu Freren weist an drei Seiten noch alles Mauerwerk auf. Der untere Teil des Kirchturms ist als Wehrturm mit mehreren Lichtschächten an der Tür um 1200 erbaut. Wegen Beschränkung des Raumes scheint nur die Westseite des Kirchplatzes bebaut gewesen zu sein (Schule und zwei kleine Gebäude).

Doch können auch an der Süd- und Ostmauer einst kleine Speicher gestanden haben. Diese Speicher gehen auch auf Bauernhöfen nicht über eine Grundfläche von 5 - 7 m hinaus. Sollten alte Nachrichten nichts über Kirchhofspeicher und -pforten vermelden? Feren ist doch Taufkirche für den Fenkigau gewesen! Einer so bedeutenden Kirche wird die Kirchenburg nicht gefehlt haben. Eine genaue Prüfung des Kirchhofs wies auch hier genügend Anzeichen für eine solche Anlage nach.

Nach Pastor Meyer



Quelle:
Lengericher Geschichte(n), Nr. 3, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1997, S. 3-5

Redaktionelle Änderung durch Marco Greve, Januar 2003

Der Text wurde hier inkl. Bildern veröffentlicht: Die Kunde, Jahrgang 9, 1941, S. 55-63, Taf. 31-38

Quelle: www.heimatarchiv.de zurück