Das "Große Sterben"

Als an einem Tage des Jahres 1347 ein Schiff vom Orient her in den Hafen von Genua einlief, ahnte niemand, was für ein fremder, unheimlicher Gast sich an Bord des Schiffes befand. Auf der Reise war der größte Teil der Mannschaft schwer erkrankt, manch braver Seemann gestorben. Nachts kroch eine Anzahl Ratten vom Schiff über die Haltetaue an Land. Mit ihnen, die zum Teil schwer krank waren, kam auch unsichtbar der furchtbare Gast in die Stadt. Niemand hatte ihn hergebeten, niemand kannte ihn. Niemand wußte von seinem tödlichen Griff. Die Bürger schliefen in dieser Nacht friedlich wie immer.

Seine eigentliche Heimat lag im Innern Asiens, wo er unter den Bobaks von der Kirgisensteppe bis in die Mongolei hauste. Der Bobak ist das Murmeltier Asiens, ein Nagetier von ungefähr 38 cm Länge (dazu 10 cm Schwanzlänge). Der Pelz dieses Tieres war immer sehr begehrt. Im späten Sommer erkrankten häufig zahlreiche Tiere und gingen ein. Der Pelz der kranken und toten Tiere war eine leichte Beute. Doch wehe den Pelzjägern, die ihre Hand nach dem kranken oder toten Bobak ausstreckten! Sie erkrankten ohne Ausnahme und starben. Es mochte ein einzelner Jäger dem Tode entronnen sein, der endlich Peking, die Hauptstadt des Landes erreichte. Bald brach in der Stadt eine furchtbare Krankheit aus, der Tausende und Abertausende im Tode erlagen. Mit dem Pelztierjäger war der unheimliche Gast in der Gestalt eines winzigen Krankheitserregers in die Stadt gekommen. Mit den Menschen, Ratten und Handelswaren wanderte er über Meere und Länder. Er erreichte Indien, Persien, Arabien und Vorderasien. Überall verbreitete er Schrecken, denn mit ihm zog der Tod.

In jener Nacht aber ging er im Herzen Europas an Land, und sein Name hieß Pest.

Die Pest trat als Lungenpest und Beulenpest auf. Die Sterblichkeit bei der Lungenpest war gegenüber der Beulenpest mehr als doppelt so hoch und betrug bis zu 95 %. Schnell verbreitete sie sich über Italien und Frankreich, und bald darauf auch über die anderen Länder Europas. 1348 suchte sie bereits das Emsland heim, und viele, viele Menschen fanden durch die entsetzliche Krankheit den Tod. Wir wissen nicht, wie viele es waren, aber in dem Jahrhundert fielen in Europa dieser Krankheit nahezu 42 Millionen Menschen (das war ein Viertel der Bevölkerung) zum Opfer.

In den Jahren 1605 bis 1607 wütete die Pest wieder in unserer Heimat. Diese schreckliche, ansteckende Krankheit wurde die Pestilenz oder der Schwarze Tod, auch das Große Sterben genannt. In Lingen hatte sie - wohl durch fremde Kriegsvölker eingeschleppt - schon im Jahre 1605 viele Opfer gefordert. 1606 und 1607 wütete sie auch in Freren und den Nachbarorten. Wieviele Menschen damals den Pesttod starben, können wir daraus ersehen, daß in Lengerich allein im Herbst 1607 dreihundert Personen beerdigt wurden, wie es in einem alten Meßbuch aufgezeichnet steht. In Lingen ging die Bevölkerung von 1200 auf 600 zurück, verursacht in besonderem Maße durch die Pest.

Wer von dieser Krankheit befallen war, bekam hohes Fieber. Im Gesicht und am Körper bildeten sich Beulen, die eiterten und zuletzt blauschwarz wurden und einen widerwärtigen Geruch verbreiteten. In drei bis vier Tagen trat der Tod ein. Es kam sehr selten vor, daß ein Pestkranker wieder gesund wurde.

Kein Arzt wußte ein Heilmittel gegen diese furchtbare Seuche. Zwar wurden an den Häusern der Erkrankten schwarze Warntafeln aufgehängt, auch wurde befohlen, die Kranken abzusondern. Aber das half nicht viel, und bald gab es Häuser, die leer standen, weil alle Bewohner von der Pest dahingerafft waren.

Wo die Pest auftrat, befiel die Bevölkerung ein großer Schrecken. Es kam vor, daß Erkrankte keinen Pfleger fanden und Tote wochenlang unbeerdigt blieben; denn viele Menschen flohen in wilder Angst vor Ansteckung an einsame Orte, andere versuchten, ihre Verzweifelung durch unmäßiges Trinken und ausgelassene Lustbarkeiten zu betäuben. Die meisten aber wandten sich hilfesuchend an Gott. Sie beteten nicht nur, sondern legten sich auch schwere Bußwerke auf und pflegten die Kranken.

Die Pest wurde damals und auch später als eine besonders schwere Not angesehen; denn, wenn um Abwendung der großen Plagen gebetet wurde, setzte man die Pest an die erste Stelle. So heißt es bis auf den heutigen Tag:

"Vor Pest, Hungersnot und Krieg bewahre uns, 0 Herr!"

Busche und Wedig


Quelle:
Lengericher Geschichte(n), Nr. 2, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1996, S. 8-9

Unsere Heimat - Heft 6: Aus der Geschichte unserer Heimat - Von etwa 1000 n. Chr. bis zum Dreißigjährigen Kriege, S. 294-295





Hinweis zum Thema Pest - Schwarzer Tod:
Wenn es eine 40tägige Quarantäne gab, war es ein Ebola-ähnliches Virus und nicht die Pest.
Pest wird durch den Floh der Ratten übertragen und eine Quarantäne damit zur Ausrottung sinnlos.


Quelle:
Marco Greve, September 2003
Quelle: www.heimatarchiv.de zurück