Reisen im Kriege
Im folgenden lesen Sie einen Zeitungsausschnitt aus der "Osnabrücker Volkszeitung" aus dem Jahre 1915 über eine Fahrt mit der Kleinbahn von Quakenbrück nach Lingen. Der Verfasser ist leider nicht bekannt.
Die Letzte Fahrt der Kleinbahn
Unlängst fuhr ich zum ersten Male mit der Kleinbahn von Quakenbrück nach Lingen. Die Strecke ist mir nicht lang geworden. Wer Beobachtungen anzustellen weiß, der macht Erfahrungen, pflegt mein Freund zu sagen, und langweilt sich nicht. Ich steige früh morgens ein und beobachte mehrere Hamsterer mit Körben und Rucksack. Plötzlich sehe ich, wie einer mit strahlendem Gesichte auf einen Feldgrauen losstürzt mit den Worten: "Dunnerkiel noch moal, wo kummst du leiwe Satan dann heer?" Nach einigen Freudenausbrüchen über das Wiedersehen bricht der andere in den von Herzen kommenden Wunsch aus: "Ick woll man, dat ik weer bi use Moor wör un sei backte mi einen Pannkoeken."
Durch grüne Wiesen schlängelt und pufft das Zügele, wie so ein kleiner Kleffer, daher, an manchen Stationen und Statiönchen vorbei. Die Bauernhöfe und Häuser rechts und links sind durchweg stattlich, schmuck und groß. Das ganze Menslage präsentiert sich von dem Bahnhof aus. Der Ort schien mir nicht wachsen zu können, weil vielleicht ein Meier oder Schulte kein Land zum Baugrund verkaufen will. Auch ein Standpunkt, den man gelten lassen kann.
Da stiegen ein paar Jüngelchen ein, 3 Käse hoch, Zigaretten im Mund, der eine hafte ein Pfeifchen an. Ganz keck, als gehörte ihm die ganze Welt, sagte er: "Mi kannt glieck bliewen, ik hebbe mi versorgt mit Tabak för den ganzen Krieg." Im übrigen betrugen sie sich nicht unartig.
Gastwirtschaft Lampen, Wettrup
Endlich kommt Berge, hübscher Ort, nette Häuser, sollen wohl reiche Holländer früher dort gewesen sein, die Geld brachten. Es stiegen mehrere Reisende ein, Gespräch natürlich Teuerung, Krieg, Ferkelpreise, Hamstererlebnisse, Feldgendarmenrevisionen, Todesfälle, Erntestand, ungerechte Verteilung der Lebensmittel, von Saatkorn und Kohlen, Krankheit der Jugend, Zukunftsaussichten usw.
Nun allerlei Statiönchen, wo wenige gehen, wenige aussteigen. Ob die Bahn schon Dividenden verteilt? Diese Strecke bringt sie nie; doch allerdings, ich sah eine große Ziegelei, gewaltige Anlagen, die wird nach dem Kriege die Gegend wohl mit Steinen versorgen und den Güterverkehr heben, gebaut muß doch werden. Dann steigen die Aktien der Bahn und der Ziegelei. Oder sind das Zukunftsträume?
Endlich wieder ein längerer Aufenthalt, Station Wettrup, aber bloß ein Haus, kein Ort. Mir fiel ein Vers aus einem Lied ein, das dort vielleicht gesungen wird.
Du bist der Ort in dieser Welt,
wo es den Wettrupern am besten gefällt.
Es soll aber eine blühende Eier-Versandtgenossenschaft bestehen. Einen Kirchturm sah ich nicht.
Es stieg nur ein Reisender ein, der zur Heimat wollte. Wo sie liegt, konnte ich nicht heraus hören; Im Gespräch betitelte er die Leute, über die er sprach, mit "den Satan, den Blixum, den Dübelskerl, den Schubejack, den Pint, dat Oaß, dat Kameel, den Leichwams". Er freute sich dabei seines Lebens, denn er lachte öfters recht herzlich, spuckte aber oft auf den Boden, was nicht schön, sondern "rein schmeerig" war.
An der folgenden Station fuhr der Zug ohne Aufenthalt vorbei. Vor dem Gebäude stand ein Mann mit einer langen Pfeife (Berlage). War das der Stationsvorstand?
Gleich darauf sah ich einen hohen Turm (Lengerich) eine halbe Stunde entfernt. Warum hat man das Zügele nicht an diesem Ort vorbei gelegt, anstatt an dem Ort, dessen Name mich erinnert an das fruchtbare Land Gessen (Gersten), wohin Joseph von Ägypten seine Brüder führte. Viele Mädchen mit Pfundpaketen an Brüder und Bräutigämmer standen da, beäugelten neugierig die Reisenden und beobachteten vor allem, ob der Hilfs"schandarm" auch einige erwischte. Richtig, einigen Frauen, denen man Not und Mangel ansah, nahm er den Inhalt der Tasche weg. Die Frauen weinten. Ich hatte den Gedanken, der wohl nicht staatsgefährlich ist: ob es wohl praktisch ist, den Leuten, die sich mit Mühe etwas zusammengebettelt und gekauft haben, die mühsam erlangte Ware zu nehmen und dadurch so böses Blut zu machen? Sollte es gar keinen Weg geben, diese von solchen zu unterscheiden, welche nachher mit den eingeholten Lebensmitteln Handel treiben?
Anderswo war ich, da war man viel milder und nachsichtiger. Warum diese Ungleichheit? Herrgott gib bald die Ernte und gute Ernte, und vor allem Frieden! Frieden!
Kleinbahn im Bahnhof Gersten
Bawinkel. Woher hat der Ort die schöne Kirche? Ich hörte unterwegs von Genossenschaftswesen dort. Die sollen. wohl die Gemeinde in die Höhe gebracht haben. Im übrigen scheint man eher aus dem Dorfe heraus, als darin zu sein, mehr ein geographischer Punkt. Einen Witz leistete sich jemand, ,als er fragte, warum mehrere Stationen gleich darnach auf "orth" (Plankorth etc.) endeten: Weil die Leute da lieber einen halben "Ort" als ein Schnäpschen trinken.
An dem Verkehr auf den Stationen merkte man, daß die Stadt Lingen in der Nähe war. Kinder mit Rucksäcken, Frauen mit Eierkörben, andere mit anderen Waren, stiegen ein. Mehrfach wurde gefragt: "Ob der Zug wohl den Anschluß gewinnt mit der Staatsbahn?" Die Schaffnerin gab Hoffnung. Ja, kann das Zügele nicht anderswo weniger Aufenthalt nehmen, um den Anschluß nicht zu verpassen? Es ist doch verdrießlich, Stunden lang sonst warten zu müssen.
Endlich Lingen, ein Teil der Reisenden kann kaum das Stillstehen des Zuges abwarten, um zum Staatsbahnhof zu kommen. Gott Dank, die Uhr ist nicht zu spät, weder Turmuhr, noch die Uhr vor einem Uhrenladen, noch die Postuhr, noch Bahnuhr, aber übereinstimmen tun sie alle nicht. Welche geht richtig?
Quelle:
Lengericher Geschichte(n), Nr. 2, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1996, S. 18-20
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